Erklärung des ILRS Kongress in Espoo, Finnland,
1-4 August 1997
1. Wir, der Kongress der Internationalen Liga der Religiösen Sozialisten, angeschlossenes Mitglied der Sozialistischen Internationalen, haben uns in Hanasaari (Finnland) getroffen, um das Thema "Der Preis der Freiheit und die Kosten der Armut" zu studieren.

Ein Teil unseres Kongressziels war es, die Anstrengungen gegen die zunehmende Armut und Ungleichheit in Europa und in den USA und gegen das bestehende Wohlstandsgefälle zwischen Nord und Süd zu verstärken.

2. Der Kongress ist davon überzeugt,
• dass die Freiheit die Gewinnerin des kalten Krieges sein soll und nicht der Kapitalismus
• dass die Armut nicht der Preis der Freiheit sein darf und Reformen der sozialen Sicherheit und des Wohlfahrtsstaates nicht neue Armut schaffen dürfen
• dass die gleichgültige Arroganz und der ungezügelte Egoismus des modernen Kapitalismus nicht geduldet werden können. Es gibt religiöse und soziale Werte der Gerechtigkeit, älter als der Kapitalismus, die erhalten bleiben müssen
• dass die Idee der Menschenwürde universal und unteilbar ist, ebenso wie die Solidarität.

Der Kongress lehnt jede Anpassung an eine Entwicklung in Richtung Zwei-Drittel-Gesellschaft in unsern Ländern ab, in der ein Drittel der Bevölkerung nicht mehr am Wohlstand unserer Länder teilhat.

3. Ein Staat, der für sich in Anspruch nimmt, gerecht zu sein, muss sich an den grundlegenden Bedürfnissen aller Bürger und Bürgerinnen, im speziellen der Schwächeren, orientieren. Regierungen - sei es auf lokaler, nationaler, europäischer oder internationaler Ebene - müssen ihre sozialen Aufgaben gegenüber den weniger privilegierten Bevölkerungsschichten weiter erfüllen.

Staatliche Verschuldung ist kein Grund, diese Verpflichtungen aufzuschieben. Der staatliche Finanzhaushalt muss so in Ordnung gebracht werden, dass die stärksten Schultern die schwerste Last zu tragen haben. Gleichzeitig betont der Kongress, dass Staatsschulden nicht kommenden Generationen aufgebürdet werden dürfen.

Der Kongress ist über die wachsende Ungleichheit und die zunehmenden Einkommensunterschiede in unseren Gesellschaften besorgt, insbesondere dort, wo dieser Prozess durch eine Politik verursacht wird, die sich nicht an das Prinzip hält, die grösste Last den stärksten Schultern aufzubürden.

4. Die Marktwirtschaft darf nicht sich selbst überlassen werden, ohne Planung und irgendwelche Regeln. Es braucht einen aktiven Staat (oder eine andere regulierende Instanz), der eine Reihe von Vorschriften erlässt und für ein Klima des Vertrauens sorgt, damit die Marktwirtschaft funktioniert.

5. Grundsätzlich haben jede Weltbürgerin und jeder Weltbürger - innerhalb der Schranken einer nachhaltigen Entwicklung - das gleiche Recht auf Zugang zu Einkommensquellen und auf den Gebrauch natürlicher Ressourcen wie Rohstoffe.

Es ist ein Skandal, wie auf dieser Welt Einkommen und Vermögen verteilt sind! Der reichste Fünftel der Erdbevölkerung erhält 82,7% des gesamten Einkommens, der nächste Fünftel 11,7% und die verbleibenden drei Fünftel müssen sich mit nur noch 5,6% zufrieden geben. Weniger als vierhundert Personen haben mehr Einkommen als die Hälfte der Menschheit.

Die entwickelten Länder sind verpflichtet, der Entwicklung des Südens Raum zu geben, indem sie für ein gerechtes Welthandelssystem sorgen und ihre eigene Produktion und ihren Konsum auf Nachhaltigkeit ausrichten durch die Einschränkung des Verbrauchs nicht erneuerbarer Energien und die Reduktion der Umweltverschmutzung. Ökonomisches Wachstum, das nicht voll der Forderung nach Nachhaltigkeit nachkommt, ist kein Weg zur Lösung der Umweltprobleme oder der Armut.

Die Menschen und Unternehmen in den Industriestaaten sollten ihre Produktionsmethoden und ihr Konsumverhalten nach den Empfehlungen der UNO-Konferenz von Rio de Janeiro über Umwelt und Entwicklung 1992, die beim Folgetreffen in diesem Jahr in New York bestätigt worden sind, ausrichten. Der Kongress zielt auf eine gerechte und umweltverträgliche Gesellschaft. Die Reichen in allen Ländern sollten bescheidener leben.

Es müssen Wege gefunden werden, das System zu ändern, das -mit den Mitteln des Marketings und der Werbung - immer neue Nachfrage schafft, die weit über die grundlegenden menschlichen Bedürfnisse hinausgeht, und diese Nachfrage geschäftlich ausnützt. Dazu gehören Massnahmen gegen die Werbung für gefährliche Produkte wie Nikotin und Alkohol.

6. Arbeitslosigkeit ist einer der Hauptfaktoren, die zu Armut und Ungleichheit führen. Der Kongress betrachtet dieses Thema als eine der vordringlichsten Aufgaben für die sozialdemokratische Bewegung. Daher ist es nur natürlich, das sich der IRLS-Kongress auf diese Frage konzentriert.

Der Kongress schlägt Folgendes vor:
• Verkürzung der Arbeitszeit
• Harmonisierung der Rahmenbedingungen für Unternehmen, um Sozial- und Steuerdumping zu verhindern
• Wechsel von der Besteuerung der Arbeit hin zu anderen Formen der Besteuerung, z.B. des Konsums mit entsprechender Entlastung grosser Familien und älterer Menschen.

7. Es sollte ein Steuersystem eingeführt werden, das auf der Besteuerung des Konsums, im besonderen der natürlichen Ressourcen und der Energie, fusst.

Die Steuerpolitik sollte eher auf die Besteuerung des Kapitals, insbesondere des Kapitalgewinns, ausgerichtet werden als auf die Besteuerung des Einkommens.

Eine internationale Steuer sollte eingeführt werden zur Finanzierung der UNO. Mögliche Bereiche für eine solche Steuer können internationale wirtschaftliche Transaktionen und die Steuer auf Öl und Kerosin für die Luftfahrt sein.

8. Das wesentlichste Organisationsprinzip für die nationale Gesellschaft wie für die Völkergemeinschaft sollte Zusammenarbeit und nicht Wettbewerb sein. Zusätzlich können Wettbewerb und Markt in vielen Situationen effiziente Instrumente sein, aber sie dürfen nicht Prinzipien werden.

Europa sollte die historische Gelegenheit nutzen, welche die EU bietet, um die besten Beispiele nachzuahmen - auch als weltweites System -, wie man die Bedürfnisse der Menschen nach Obdach, Nahrung, Gesundheitspflege, Erziehung, Verkehr, Schutz und gerechtes Einkommen befriedigt.

Der Kongress fordert die Regierungen auf, sich nicht gegenseitig mit einer Politik, die auf die Senkung der Lohnkosten und des Abbaus der Kosten für Soziales und Gesundheit zur Senkung der Steuern ausgerichtet ist, auszustechen. Diese Art "Politikwettbewerb" schafft eine Abwärtsspirale, die in der Zerstörung der Struktur des Wohlfahrtstaates endet.

9. Der anhaltende Abbau der internationalen Entwicklungshilfe muss aufhören. Die Industriestaaten sollten dringend dem von der UNO angestrebten Ziel von 0.7 % des BSP entsprechen. Abnehmende Militärausgaben schaffen Raum für wachsende internationale Solidarität.

10 Jeder Mensch hat eine persönliche Verantwortung für die Schaffung von Wohlstand entsprechend der eigenen Talente und Begabungen. Mit anderen Worten: Der moralische Kontext muss immer im Hinterkopf präsent sein. Wir denken da an die Lehren der Religionen und die Bedeutung von gemeinschaftlichem Besitz.

11 Der ILRS-Kongress begrüsst den Vorschlag eines Interaktionsrates von ehemaligen Staats- und Regierungschefs (unter dem Vorsitz von Helmut Schmidt) für eine Universale Deklaration der Menschlichen Verantwortlichkeiten, die von der UNO in Ergänzung zu der Menschenrechtsdeklaration angenommen werden soll.

Der Kongress drängt Ihr Land, diese Initiative der UNO zu unterstützen. Wir fügen den Text der vorgeschlagenen Erklärung als einen Anhang zu diesem Brief bei.

3 August, 1997.
Der ILRS Kongress



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